Heute kann ich Euch nicht vor einem klassischen Karnevalslied verschonen. Aber ich verspreche, dass “Mer losse d’r Dom in Kölle” nicht auf meine Playliste kommt. Weil ich ein anderes Lied aus der Anfangszeit ausgewählt habe. “Em unserem Veedel” und “Mer losse d’r Dom in Kölle” haben aber das gleiche Grundthema. Denn den Inhalt habt Ihr jeweils so nicht erwartet.
Cover | |
Veröffentlichung | November 1973 |
Länge | 3:14 |
Genre | Karneval |
Autoren | Hans Knipp, Hartmut Priess, Erry Stoklosa |
Album | Op Bläcke Fööss noh Kölle |
Gestern hatte ich Euch die Rockband Brings vorgestellt, die irgendwann im Karneval gelandet ist und durch ihren Einfluss hat sich die Kölner Musikszene in den letzten Jahre sehr gewandelt. Dabei hatte ich erwähnt, dass ich eigentlich mit einer anderen Band hätte anfangen müssen, wenn ich die Entwicklung der Musik in Köln erklären will. Und damit waren die Bläck Fööss gemeint. Allein die Geschichte der Bläck Fööss ist äußerst interessant. Denn die damaligen Mitglieder waren musikalisch schon in verschiedenen Beat-Musik Gruppen aktiv. Einer der Vorläufer-Band waren die Stowaways, die am 6.November 1966 als Vorgruppe von The Who auftrat. Auf Karnevalsbällen spielten sie dann die Hits der Beatles, Kinks und den Hollies. Aber mehrten sich aber die Nachfrage nach Karnevalsliedern. Ironischerweise mussten die Jungs von einem Engländer übrredet werden, auf Kölsch zu singen. Und so gab man sich einen Ruck und schrieb den Song “Rievkoche-Walzer”. Dafür wollte man aber nicht seinen guten Namen hergeben und so entschieden sich die Jungs diesen Songs unter einem Pseudonym zu veröffentlichen – de Bläck Fööss. Das klang zwar englisch, bedeutet aber nackte Füße. Und so wurden sie unglaublich erfolgreich. Die konversativen Karnevalsgesellschaften waren mehr als irritiert – traten die Bläck Fööss doch mit langen Haaren, Jeans (damals waren schwarze Anzüge auf Karnevalsveranstaltungen Pflicht) und nackten Füßen auf (wegen des Bandnamens). Und sie hatten E-Gitarren dabei… das war völlig neu.
Insofern wird klar, dass die Fööss der Wegbereiter für alle nachfolgenden Musiker waren. Und nicht nur stilistisch brachten die Bläck Fööss frischen Wind in den Muff des damaligen Karnevals. Auch der Inhalt der Lieder war ungewohnt. Ich habe bewusst diesen Klassiker “Em unserem Veedel” ausgewählt. Es stammt aus ihrer Anfangszeit und war einer ihrer größten Hit – auch wenn das Stück eher melancholisch und wehmütig klingt. Selbst heute noch wird er mit voller Inbrunst im Karneval geschmettert – selbst bei 3 Promille.
Bei “Em unserem Veedel” geht es übrigens um dasselbe Thema wie bei “Mer losse d’r Dom in Kölle”. Viele denken, dass letzteres nur ein Ulklied ist, im besten Fall ein Loblieb auf Köln. Doch weit gefehlt: beide Stücke sind eine direkte Kritik an die damalige Stadtsanierungspolitik. Das wird eigentlich nur in der Zeile „wat nötz die janze Stadtsanierung schon“ (was nützt die ganze Stadtsanierung schon) deutlich. Damals gab es Pläne für eine umfangreiche Sanierung des Severinsviertel und viele hatten Angst, dass es keinen bezahlbaren Wohnraum mehr geben wird. Und bei “Em unserem Veedel” war der Bau der Nord-Süd-Fahrt der Auslöser. Die zentrale Straße hat quasi ein Viertel (Veedel) auseinandergerissen. Ihr merkt: die Zeiten haben sich nicht geändert. Aber diese Stücke sind ein wunderbares Beispiel dafür, dass ein vermeintliches Stimmungslied einen ernsten Hintergrund hat. Viele der großen Hits der Fööss haben entweder eine klare Message oder sind wunderbare Portraits der Menschen (z.B. Et Spanienlied, En de Kaffeebud, Lange Samstag in de City). Und musikalisch ist die Gruppe unfassbar vielseitig. Es gibt Rock-Stücke, Disco, Schlager, Jazz, Blues, … ich glaube, in den 50 Jahren haben die Bläck Fööss keine Stilrichtung ausgelassen. Letztes Jahr haben sie ihr 50jähriges gefeiert (sofern man bei der Covid-Pandemie von Feiern sprechen kann). Und es sind sogar noch zwei Gründungsmitglieder mit dabei: Erry Stoklosa und Bömmel Lückerath.
Noch etwas Klugscheißerwissen: einen anderen berühmten Hit schafften die Bläck Fööss auch – die älteren von uns kennen bestimmt die Zeichentrickserie “Wickie und die starken Männer”. Den Titelsong haben die Bläck Fööss gesungen.
Weil ich weiß, dass Karnevalsmusik nun wirklich nicht jedermanns Sache ist, kommt dieses Stück nicht auf die Playliste und nicht in die Zählung mit rein. Aber vielleicht seht Ihr jetzt die Bläck Fööss mit etwas anderen Augen.
Apropos: falls Euch die komplette Geschichte der Bläck Fööss interessiert. Hier gibt es eine Doku des WDR zum 50jähringen Bestehen der Gruppe: